Gottes Gauklerin

Die Pastorin Birgit Mattausch will andere Menschen inspirieren, die eigene und Gottes Stimme zu entdecken

Sie trägt mit Freude die Farbe Rosa und schreckt auch vor bunten Stoffmustern mit Blumen oder Leopardenprint nicht zurück. Sie legt sich in ein Bett in eine Kapelle und macht einen Tag lang scheinbar nichts, hält sich nur offen für das, was kommt und nennt es »künstlerische Forschung«. Birgit Mattausch schreibt Gebete, die wie Gedichte sind und hält Predigten, in denen sie die alten Bibeltexte mit poetischer Sprache von heute zu einem filigranen Kunstwerk verbindet. Sie zeigt sich als Person eigenwillig und verletzlich und berührt so empfindsame und kreative Seiten auch bei anderen Menschen. Birgit Mattausch ist eine evangelische Pfarrerin, die aus dem Rahmen fällt und ermutigen kann.

 

Als sie sich auf ihre erste Pfarrstelle bewerben wollte, ging sie in Stuttgart in das Haus einer Textilkette und kaufte eine Fellmütze mit üppig flauschigem Kunstpelz. »Die kannst du jetzt noch anziehen, im Pfarramt dann nicht mehr, habe ich damals gedacht«, erzählt Mattausch im Gespräch, »aber ich hatte Glück.« Im Jahr 2010 kam sie nach Roßdorf, einem Stadtteil von Nürtingen, von manchen auch »Russdorf« genannt wegen der vielen Migranten aus Osteuropa. Eine Plattenbausiedlung mit eher wenig bürgerlicher Mitte. Birgit Mattauch lächelt entspannt, wenn sie über die Menschen dort spricht. »Wenn ich das Abendmahl ausgegeben habe, dann sah ich an den Händen vieler Frauen künstliche Nägel, Lack, Sternchen und Glitzer. Dort war ich, was die Optik, betrifft keine Außenseiterin.« Als Außenseiterin fühlte sie sich eher im Pfarrhaus, das mit sechs Zimmern und zwei Bädern viel zu groß war, denn sie kam als Pastorin ohne Ehemann und Kinder. Schon bald zog sie in eine Wohnung im 18. Stock in einem der Hochhäuser. »Weit oben und ein Blick über das Land bis zum Stuttgarter Fernsehturm, wunderbar«, schwärmt Mattausch noch heute von diesem weiten Horizont.

 

Sie war nahbar, ohne Pastorenhabitus und sprach mit ihren Ideen auch Menschen an, die sonst der Kirche fern blieben. Aber es gab auch Gemeindemitglieder, die ihre traditionellen Vorstellungen, wie ein evangelisches Pfarramt auszuüben sei, behalten wollten und feindselig auf sie reagierten, dabei war Mattausch nicht nur unkonventionell: »Mein letzter Gedanke am Abend und mein erster am Morgen war Roßdorf. Mein Verantwortungsbewusstsein war sehr hoch«, spricht Birgit Mattausch mit einem Seufzer über ihr Berufsverständnis, das sie mit vielen Pfarrerinnen und Pfarrern teilt. »Wenn ich den Aufzug betreten habe, war ich schon im Dienst und man erwartete, dass man mich ansprechen kann.« Birgit Mattausch erkrankte an einer Erschöpfungsdepression. Nach drei Monaten in einer Klinik im Allgäu fasste sie Mut und fragte ihre Württembergische Landeskirche nach einer neuen Stelle, passend zu ihren Talenten, Fähigkeiten und Begrenzungen. »Wir machen keine Stellen passend für die Menschen« sei die Antwort aus der Personalabteilung gewesen, erzählt Mattausch über dieses Erlebnis. »Da dachte ich, das war´s. Jetzt bin ich keine Pfarrerin mehr. Aber die Ordination war für mich ein Lebensversprechen gewesen. Was sollte ich jetzt tun? In einem Bestattungsunternehmen anfangen?«

 

Berufen zur Inspirateuse

Zwei Wochen später kam ein Anruf aus Hildesheim. »Wir haben eine Stelle für Sie«, hörte sie da. Seit 2017 arbeitet Birgit Mattausch auf einer halben Projektstelle des Gottesdienstinstituts, einer Einrichtung der Landeskirche Hannovers im Michaeliskloster Hildesheim zur Entwicklung von Gottesdiensten und Kirchenmusik. Birgit Mattausch macht hier Fortbildungen zu Sprache und Predigt. »Ich stoße kreative Prozesse an, so dass Menschen ihre eigene Stimme finden und eine Sprache, die ihnen gemäß ist, mit der sie andere berühren können«, sagt die 46-jährige über ihre Aufgabe. Sie arbeitet unter anderem mit Methoden des Kreativen Schreibens und bestärkt die Teilnehmenden darin, dass sie wirklich etwas zu sagen haben und es wagen, sich bei ihrer Verkündigung auch sehr persönlich zu zeigen. In ihrer Gemeinde in Roßdorf hatte Mattausch in ihren Predigten über das Verletzte und Zerbrochene gesprochen, nicht nur allgemein in der Gesellschaft, sondern auch in ihrem Herzen und in ihrem Leben. Sie erfuhr dafür viel Wertschätzung. Aber sollte man das wirklich tun? Als öffentliche Person sein Inneres offenbaren und sich leicht angreifbar machen – kann man das aushalten? »Das ist total die offene Frage«, sagt Mattausch. Aber sie gehört zu den Menschen, die offene Fragen weiter führen.

 

Seit vielen Jahren ist sie Teil der Bewegung playing arts, in der experimentierfreudige Menschen spielerisch kreativ werden und auch anderen Menschen Möglichkeiten eröffnen, ihr schöpferisches Potenzial auszuprobieren. Birgit Mattausch ist inspiriert von Performance-Künstlerinnen. Im Jahr 2019 stellte sie in Stuttgart mit zwei anderen playing artists ein weiß bezogenes Bett in eine katholische Kapelle. Die Spielaufgabe war, sich in der Bürozeit von neun bis 17 Uhr ins Bett zu legen und nichts zu tun. Birgit Mattausch schaute auf die Bilder eines Kreuzwegs in der Kapelle und ihr fiel auf, dass Jesus im Bild der Auferstehung nicht sichtbar war. Um die Mittagszeit betrat eine Frau die Kapelle, sah Mattausch im Bett liegen und fragte zur Begrüßung: »Vor wem soll ich mich verbeugen? Sonst verbeuge ich mich vor dem Tabernakel. Aber jetzt – vor Ihnen?« Die Frauen kamen ins Gespräch über den Auferstandenen, der nicht sichtbar war. Wo könnte er sein? Da sagte die Frau: »Der Auferstandene ist in Ihrem Körper. Und in meinem Körper.« Immer wieder spricht Birgit Mattausch ergriffen über diese Begegnung. »Was für ein wunderschönes Geschenk«, sagt sie und lächelt glücklich. »Theologisch wusste ich das zwar längst, aber es so zu hören, von dieser Frau – das war eine kleine Offenbarung.«

 

In Zeiten von Corona sitzt auch Birgit Mattausch sehr viel in ihrer Wohnung und ist zugleich digital unterwegs. Ihre Fortbildungen zu Stimme, Sprechen und Predigen macht sie über die Plattform zoom. Ihre atmosphärisch dichten Predigten und lyrischen Gebete veröffentlicht sie auf ihrer Webseite »Frau Auge«. Über die sozialen Medien inspiriert sie andere Menschen mit playing arts (siehe Kasten) und pflegt Kontakte auch zu jüngeren und feministischen Pastorinnen. Eigentlich, sagt Birgit Mattausch, sei »Inspirateuse« die treffendste Berufsbezeichnung für sie. Sie lacht schelmisch. »Das klingt wie Fritteuse und das Wort ›Pirat‹ ist auch mit drin«. Ihre Stimme klingt beschwingt, sie lächelt erheitert, solche Spielerein freuen die Pfarrerin in Pink, entschlossen wie eine Piratin, die Mauern der kirchlichen Konventionen einfach mal zu überklettern.

 

Publik Forum Nr. 9              14. Mai 2021