Die innere Führung

Ina Hohenstein lebt zweimal im Jahr in der Einsamkeit und sucht die Stille - ein Weg zurück zu Gott und zu sich selbst. Protokoll: Gunhild Seyfert

Zweimal im Jahr gehe ich in die Stille und lebe da als Einsiedlerin. Es ist eine wichtige Übung für mich auf meinem Weg mit dem Herzensgebet. Meine ersten Erfahrungen mit Stille machte ich schon vor dreißig Jahren, während meiner Ausbildung zur Feldenkrais-Lehrerin. Damals erschien es mir wie Zauberei: ich wurde ruhig, kam in Frieden und fühlte mich in Kontakt mit meinem Körper. Später erst habe ich gehört, dass man das Stille nennt.

 

Im Sommer lebe ich zwei Wochen lang in einer kleinen abgelegenen Hütte ohne Strom und fließendes Wasser. Die Hütte liegt im Elsass, sehr abgelegen nahe einem alten Steinbruch. Sie gehört zu einem kleinen Dorf in einem engen Tal, wo in einer ehemaligen Mühle ein Haus für das Herzensgebet entstanden ist. Dort lebt meine Lehrerin. Sie widmet sich ganz der Aufgabe, Menschen auf dem Weg mit dem Herzensgebet zu begleiten. Meine Hütte hat nur einen Raum, darin sind der Gebetsplatz vor einer Ikone und einem Kerzenlicht, ein schmales Bett, der Ofen und ein Regal für Lebensmittel.

 

Morgens klingelt der Wecker schon vor fünf Uhr. Was ich beim Aufwachen noch mitbringe aus der Nacht, was mir als erstes in den Sinn kommt, dafür habe ich nun eine Viertelstunde Zeit, es zu bedenken oder dazu etwas zu schreiben. Um 5 Uhr mache ich mich frisch, bete und meditiere in der Stille. Jeder Tag während der Einkehr hat einen klar festgelegten Tagesablauf. Eine solche Struktur ist eine große Hilfe, damit finde ich immer wieder meine Sammlung. Morgens in der Frühe bin ich auch eine Stunde draußen auf einem Spaziergang im Gebet, danach ist eine weitere stille Gebetszeit zu einem Wort aus der Bibel. Um 8:30 Uhr mache ich Frühstück, ich bereite Frischkornbrei mit etwas Obst und Sahne.

 

Auch praktische Arbeit gehört zur Einkehr. Ich mache die Hütte gründlich sauber, hole Wasser, arbeite im Garten. Dabei wiederhole ich bei allen Arbeiten fortwährend  mein Heiliges Wort, wie ein Mantra. Zu meinem Herzenswort bin ich so gekommen: Im Gespräch mit meiner Lehrerin fiel eines Tages ein Wort, dieses Wort hat mich stark getroffen. Plötzlich war es klar. Seit neun Jahren begleitet mich dieses Herzenswort.  

 

Mittags bereite ich für mich Gemüse mit Reis und ein wenig Käse. In der Hütte versorge ich mich selbst. Alle Lebensmittel für die beiden Wochen muss ich selbst mitbringen von zuhause in Norddeutschland. Nachmittags ist dann die Zeit für zwanzig Minuten Gespräch mit meiner Lehrerin. Ihr kann ich erzählen, was mich bewegt und wo ich steckenbleibe, wie ich mich fühle und auch, wenn ich nicht mehr sitzen kann. Ich komme immer an viele alte Geschichten, wenn ich alleine ohne Ablenkung bin. Die Beziehung zu meinen Eltern war ein wichtiges Thema für mich. Sie waren von den Folgen des Krieges und vom Überleben gezeichnet. Viel Vergebungsarbeit war notwendig. Mittlerweile verstehe ich, dass man in eine Lebensaufgabe hineingeboren wird. Vergebung und Erlösung gehören dazu und ich glaube, dass dies auch auf meine Mutter und meinen bereits verstorbenen Vater wirkt.

 

Nach einer Mittagspause und weiteren Meditationen lege ich mich um 17:30 auf meinen Gebetsplatz vor der Ikone und dem Licht. Ich bewege eine Frage in meinem Herzen oder bete mit einer Frage. Am Anfang meines geistlichen Wegs waren da viele grundlegende Fragen: Wer bist Du für mich, Gott? Wer bin ich für Dich? Was ist meine Aufgabe im Leben? In der Bibel heißt es oft: Kehrt um! Die Umkehr ist der Punkt, wo Verwicklungen aufhören und Entwicklungen beginnen können. Für mich bedeutet Umkehr: mein Weg zurück zu Gott und zurück zu mir. Nach einer Viertelstunde im Liegen ist dann Zeit zu gestalten, was gekommen ist – mit Schreiben, Malen oder in Ton arbeiten. Das finde ich immer sehr spannend. Ich male meistens mit Wachsmalstiften. Obwohl ich zunächst denke, ich hätte nur gekritzelt, zeigen mir die Bilder, um was es wirklich geht,

 

Um 18:30 Uhr ist Abendbrot, anschließend lese ich, mache einen Spaziergang oder schreibe. Ab 20 Uhr folgt das Muttergebet, das Gebet zu Maria. Anfangs habe ich damit gefremdelt, ich bin evangelisch getauft. Aber mittlerweile ist dieses Gebet wichtig für mich. Maria ist die fleischgewordene Mütterlichkeit Gottes, mit ihrer Hilfe kann ich Mutter sein für das Kind in mir. So konnte ich meine leibliche Mutter entbinden von dieser Aufgabe. Schließlich ist um 22 Uhr Bettruhe, davor weiche ich noch das Getreide ein für den Brei am Morgen und stelle meinen Wecker auf 4:44 Uhr.

 

Im Winter mache ich die Einkehrzeit in meinem Haus, über Weihnachten bis zum Tag der Heiligen Drei Könige. Dann bin ich wirklich ganz allein. Die Tage haben die gleiche Struktur wie im Sommer, ich kaufe auch alle Lebensmittel vorher und gehe nicht unter Menschen. Meine Lehrerin kann ich anrufen, aber ich mache dies nur selten. Ich weiß ja mittlerweile, wie es in der Stille ist. Und ich habe die Erfahrung, dass innere Führung in mir ist.

Protokoll: Gunhild Seyfert

 

Publik Forum Nr. 22        22. November 2019